Schaufenster mit Meerjungmännern - männlicher Oberkörper, unten eine Schwanzflosse

Neu: Jetzt ohne negative Stereotypen

Kennen Sie die britische Impfstoffforscherin Dame Sarah Gilbert als Barbiepuppe? Wussten Sie, dass es zwar ein Rosa-Ei von Ferrero gibt, dieses aber (Überraschung!) gar nicht Mädchen ansprechen soll? Und hätten Sie es für möglich gehalten? Menschen über 55 sitzen nicht den ganzen Tag über in beigefarbenen Hosen mit Bügelfalten auf ihrem Sofa und warten auf den Tod durch Kijimea-Reizdarm-Werbung.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Marken und ihre Werbeagenturen, also diejenigen, die viele Jahre lang dabei geholfen haben, negative Stereotypen zu festigen, uns plötzlich auffordern, umzudenken. Andererseits verkaufen Tabakkonzerne heutzutage auch Raucherentwöhnungstherapien.

Wir leben in einer aufregenden Zeit.

Lego gehört zu den Unternehmen, die sie mitgestalten. Braille-Steine ermöglichen sehbehinderten und blinden Kindern das spielerische Erlernen der Brailleschrift. Regenbogenfiguren sorgen für mehr Sichtbarkeit aller, die sich als LGBTQ+ identifizieren. Und seit letztem Jahr lassen sich auf der Website die Produkte nicht mehr nach passenden Sets für Mädchen oder Jungen durchsuchen. Die Entscheidung, auf einen solchen geschlechterbasierten Filter zu verzichten, folgt einer Empfehlung: Eine im Auftrag von Lego durchgeführte Studie bestätigt, was wir im Alltag ohne große Budgets und mit ein wenig Interesse beobachten können – Kinder und ihre Eltern tun sich trotz vermeintlich weitverbreiteter Wokeness (Sensibilität für soziale Ungleichheit und Diskriminierungen jedweder Art) schwer mit Rollenzuschreibungen (die verschiedene Arten von Diskriminierung fördern).

71 Prozent der befragten Jungen befürchten, andere würden sie hänseln, wenn sie mit „Mädchenspielzeug“ spielten. Ihre Eltern teilen diese Sorge. „Du spielst ja mit dem magischen Wohnwagenbist du ein Mädchen oder was?“ gilt schließlich immer noch als Beschimpfung. Das liegt mitunter daran, dass unsere Gesellschaft Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sie Männern zuschreibt, immer noch höher bewertet als solche, die sie mit Frauen assoziiert. Als Folge ermutigen wir zwar Mädchen, das NASA-Spaceshuttle „Discovery“ auszuprobieren, aber nur selten schlagen wir Jungs vor, eine Krankenstation oder einen Kindergarten aufzubauen. Wie Gloria Steinem bemerkt:

„Many people have begun to raise daughters more like sons, but too few people raise sons more like daughters.“*

Erwartungen an Gruppen, zu denen wir ob bestimmter Eigenschaften zählen, folgen uns bis ins Erwachsenenalter und selbst in die intimsten Winkel unseres Daseins. Als Begleiterscheinung der Konsumgesellschaft begegnen wir ihnen sogar auf öffentlichen Toiletten. Während wir die Beine kreuzen, weil die Blase drückt, starren uns die Manifestationen von Gender-Marketing, Ethno-Marketing, Kinder-Marketing, LGBTQ+-Marketing, Senior:innen-Marketing an: Ein- bis zweidimensionale Kunstfiguren geben von Plakaten oder Bildschirmen aus vor zu wissen, wie wir sein sollten.

Sich im Alltag gegen klischeehafte Bilder behaupten zu müssen, kostet sehr viel Kraft, die wir eigentlich ganz anders einsetzen könnten. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Unstereotype Alliance, ein von UN Women ins Leben gerufenes Bündnis versteht sich als Denk- und Aktionsplattform gegen negative Stereotypen. Markenunternehmen, Beratungsfirmen und Werbeagenturen unterstützen das Vorhaben. Durch den Verzicht auf negative Stereotypen in Medien und Werbeinhalten streben sie an, Vielfalt (Rasse, Klasse, Alter, Fähigkeiten, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Sexualität, Sprache, Bildung) zu repräsentieren und Gleichberechtigung zu ermöglichen.

Ein hehres Ziel, jedoch haben die Akteure noch eine Menge Arbeit vor sich. Denn innerhalb der eigenen Organisationen fehlen häufig ganze Bevölkerungsteile und von Chancen profitieren längst nicht alle menschlichen Ressourcen.

Nehmen wir mal das Alter. In Großbritannien befragte die Advertising Association 16.016 Personen und stellte fest:

81 Prozent der Befragten waren unter 45. Im Vergleich: Unter allen Erwerbstätigen waren 56 Prozent unter 45.

In der britischen Werbebranche gehören Mitarbeitende über 45 einer Minderheit an.

Angelehnt an diesen „Zensus“, wagte die World Federation of Advertisers eine globale Umfrage. Das Ergebnis: 69 Prozent der Befragten waren unter 45. Die Zahlen variierten von Land zu Land. Global betrachtet lässt sich allerdings sagen: Am häufigsten erleben die Mitarbeitenden in der Werbebranche Altersdiskriminierung. Kombiniert man das Alter mit dem Familienstand und Geschlecht, so fühlen sich jüngere oder ältere Frauen, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, am meisten benachteiligt.

Führt diese Selbsterkenntnis langfristig wirklich zu Veränderungen? Vielleicht. Immerhin behaupten immer mehr Konsument:innen in den sozialen Medien, ihre Produkte auch danach auszuwählen, wie Unternehmen sich zu bestimmten Themen positionieren, wie sie ihre Versprechen kommunizieren und einlösen.


*aus dem Buch: The Truth Will Set You Free, But First It Will Piss You Off!

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