Ein Mann geht spazieren: Er ist 33, Reisender, CEO sensibel, visionär, verheiratet Vater, Migrant, Städter, Klavierspieler, Wanderer

Auf dem schmalen Grat zwischen Stereotypen und Vorurteilen

Sobald sie ihre Arbeitskluft anziehen, verwandeln sich Marketer in miese Zauberkünstler: Schon in der Marketing-Grundschule lernen wir zwar, den Menschen in seine Einzelbestandteile zu zersägen. Doch das Zusammensetzen behandelt man – trotz Big Data, Social Media und Marketing Automation – lediglich als eine rein theoretische Möglichkeit. Das Interesse an diesem unfeinen Trick rührt von der Notwendigkeit her, potenzielle Kunden in Zielgruppen einzuteilen (und somit ähnliche Einzelteile unterschiedlicher Personen in eine Kiste zu stecken).

So machten das schon unsere Vorfahren. Dabei nahmen sie sich verschiedene Kriterien vor: Geographie (Stadt, Land, Fluss), Demographie (Alter, Geschlecht, Familienstand), Psychographie (Visionär, Problemlöser, Macher), Konsumverhalten (Massimo Dutti, Jil Sander, Vivienne Westwood). Der Fantasie wurden bei der Auswahl von Merkmalen keine Grenzen gesetzt. Je feiner die Einteilung (Städter + 33 + Mann + verheiratet + Visionär + Massimo Dutti), desto größer die Wahrscheinlichkeit, etwas zu verkaufen – sagt man mancherorts noch heute.

Um beurteilen zu können, was ein bestimmtes Segment ausmacht, greifen wir auf Stereotypen zurück – sie helfen dabei, Eigenschaften und Verhaltensweisen einer bestimmten Gruppe vereinfacht darzustellen. Und weil das Thema so schön leicht daherkommt, spricht man hierzulande immer häufiger von Gender-Marketing, Ethno-Marketing, Kinder-Marketing, LGBT-Marketing, Senioren-Marketing – suchen Sie es sich aus.

Die Eindimensionalität dieser Betrachtung macht zum einen stutzig – ein Mann ist nicht nur ein männliches Wesen, eine 90-jährige nicht nur alt, ein Marokkaner nicht nur ein Mensch aus Marokko usw. Zum anderen nehmen die simplifizierten Bilder, die Unternehmen malen, und bei denen sie krampfhaft zu verharren scheinen, Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft.

Wohl am häufigsten diskutiert, weil am weitesten verbreitet: Gender-Marketing. Das Dilemma fängt mit den Farben Blau beziehungsweise Rosa im Kinderzimmer an und endet scheinbar nie, wie Antje Schrupp von der Zeit beobachtet:

Die Männersachen sind in der Regel hart, feurig, eckig, kalorienreich und billig, die Frauensachen weich, soft, rund, kalorienarm und teuer.

Was, Sie kennen etwa eine Frau, die gerne fette Burger isst? Oder einen Mann, der weiche Unterhemden trägt? Ach, hören Sie doch auf. Womöglich erzählen Sie uns gleich von einer Frauenzeitschrift, die sich nicht mit lackierten Nägeln und der perfekten Figur befasst? Auch wenn das Thema viel zu ernst ist, um dumme Witze zu machen – manchmal wünsche ich mir meine blaue Uniform aus der Schulzeit im fernen Osten zurück. In diesem Ding sahen Jungs und Mädchen gleichermaßen unattraktiv aus – beide Geschlechter hatten dieselben Chancen, deswegen auf der Couch zu landen.

Apropos: Auch Ethno-Marketing nimmt zu, schließlich hat jeder Fünfte von uns einen Migrationshintergrund. Jedoch fallen die wenigen Gehversuche noch recht zaghaft aus: als Beispiel nennt die Fachpresse immer wieder die Halal-Gummibärchen von Haribo, die türkische Website der Deutschen Bank oder den Werbespot, in dem ein türkischer Vater nur jenem Kerl erlaubt, seine Tochter auszuführen, der einen VW fährt. Dass auch Flüchtlinge in den Fokus rücken, fällt kaum jemandem auf – und das ist Absicht. Denn viele Unternehmen fürchten, dass sie mit der Ansprache von Minderheiten ihre bisherige Kernzielgruppe verschrecken könnten.

Wie sehr sie sich fürchten, deutet ein mit Klischees durchsetzter Blog-Beitrag von Daimler zum Thema LGBT-Marketing an, in dem ein Foto von sich küssenden Männern auftaucht und der – laut Kommentar – keine 24 Stunden nach Veröffentlichung von der Home-Page des Mitarbeiterportals verschwunden war. Der Autor beruft sich darin auf ein Stereotyp: Lesben und Schwule sind Trendsetter, äußerst selbstbewusst, kommunikativ und einflussreich, vor allem aber einkommensstark und konsumfreudig – mit einem ausgeprägten Hang zur Exklusivität und Markentreue.

Die Leser bedienen sich innerhalb der Kommentare einer Menge Vorurteile. Zur Erinnerung: ein Vorurteil = ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deswegen dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man dieser Gruppe zuschreibt. (Allport)

In was für einer Welt leben wir heute? Ich habe nichts gegen Homosexuelle aber, dass Diese gegenüber den Normalen Menschen gleichgestellt werden, ist zu weit und nicht akzeptabel! Solch eine Werbung ist Image schädigend und erniedrigend für den Normalen Menschen! Die Schwulen und Lesben sind eine Minderheit und sollen auch bleiben. Diese Falschgepolten werden einen Mercedes auch so kaufen, man muss nicht mit Diesen Werbung machen.

Ja, in was für einer Welt leben wir denn heute? Wofür wollen Unternehmen mit ihren Marken stehen? Ist Gewinn nach Steuern die einzige Kennzahl, die sie interessiert? Gilt es, ihn zu maximieren – ohne Rücksicht auf Konsequenzen? Und wenn nein, wie viel Mut bringen die Verantwortlichen auf? Wollen sie dabei helfen, Vorurteile abzubauen?

Und wann erlauben uns Algorithmen eigentlich, den Menschen wieder als ein vielschichtiges Ganzes zu betrachten?

4 Gedanken zu „Auf dem schmalen Grat zwischen Stereotypen und Vorurteilen“

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