Fahrradweg mit dem Schild: Look Both Ways

Zukunft braucht Weitblick: Marketing in Zeiten der Automatisierung

„Zalando ersetzt Beschäftigte durch Algorithmen“ hieß es März diesen Jahres in allen großen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen, nachdem ein von entlassenen Mitarbeitern entworfenes Plakat mit dem Slogan „Me.Unemployed“ in der Berliner Zentrale der Samwer-Macht aufgetaucht war. Ungefähr eine Millisekunde lang interessierte sich die Welt für 250 Marketingleute und schrie nicht vor Glück, sondern ausnahmsweise vor Schreck. Das dazugehörige Schreckgespenst konnte schnell ausgemacht werden: Je nachdem, wen man fragt, grassiert es durch die Flure von Organisationen aller Art als „Marketingautomatisierung“ bzw. „Marketing Automation“.

Im Marketing vollzieht sich gerade ein Umbruch, den Handwerker und Landwirte bereits vor vielen Jahren erlebt haben: Maschinen übernehmen kleinteilige, sich wiederholende Aufgaben. Einfach, weil sie können (und wir sie lassen). Diese fleißigen Helfer rechnen nicht nur in Lichtgeschwindigkeit. Während Menschen noch nichts ahnend die Stirn runzeln, sehen sie Zusammenhänge und ziehen Schlüsse. Marketingautomatisierung ist dabei eine allzu natürliche Entwicklung – wir selbst haben Effizienz in den meisten Bereichen unseres Lebens als bestimmenden Faktor auserkoren. Wir huldigen ihr andächtig, obwohl sie weder Aphrodites Schönheit hat noch solch zerstörende Blitze erzeugt wie Zeus.

Heute dreht sich die Marketingautomatisierung rund um die Ausführung von Kampagnen und die damit verbundenen Themen Content Marketing, E-Mail Marketing, Soziale Medien, Analyse, Suchmaschinenoptimierung, Conversion-Optimierung, Lead-Management. Die Landschaft der Softwareanbieter, die uns bei diesen Aufgaben entlasten, entwickelte sich von einer Handvoll Pioniere im Jahre 2011 zu einem prächtigen Wimmelbild. Aber verzweifeln Sie nicht. Wie in allen Branchen wird der Markt Ordnung schaffen, der übergreifenden Konsolidierungswut sei Dank. Die größten Player heißen Adobe, IBM, Oracle, Salesforce und sie werden ihre Position zu verteidigen wissen.

Während dessen lohnt es sich darüber nachzudenken, wofür Marketer allgemein und im Einzelnen eigentlich verantwortlich zeichnen sollen. Website-Klicks? Follower? Oder wäre es womöglich sinnvoll, zu verstehen, wie ein Unternehmen langfristig erfolgreich bleibt und was der eigene Beitrag dazu sein könnte?

Versteifen Sie sich gerade auf die Funktionsweise eines taktischen Werkzeugs? Vorsicht, schon morgen könnten Sie sich mit der Wartenummer 37 in einem langen Flur, in dem Neonlicht mitleidlos flackert, wiederfinden, auf einem Stuhl mit grauem Bezug und trauriger Aura. Interessieren Sie sich ein wenig für Strategie, dann werden Sie selbst dann noch gebraucht, wenn Ihr Werkzeug nicht mehr lieferbar ist. Die Wissensgesellschaft braucht Leute mit Weitblick.

Seit langem sprechen (nicht nur selbst ernannte) Experten davon, dass das Marketing sich endlich ändern müsse. Als Funktion. In seiner Organisation. Und doch vertreiben sich immer noch viele Marketer damit die Zeit, Excel-Listen auszufüllen und Kleinkriege zwischen Abteilungen zu führen. Das geht vermutlich nicht mehr lange gut. (Es sei denn jemand möchte die fortdauernde Existenz der Amischen in Pennsylvania als Gegenbeweis anführen?) Nicht nur, weil Technologie bestimmte Jobs ersetzt, sondern weil die Realität einen Wandel fordert.

Moritz Hahn, Senior Vice President Supply and Demand bei Zalando, erklärt, wohin die Reise geht:

Kommunikation zwischen Marken und Kunden wird also noch unmittelbarer, lokal noch relevanter und noch personalisierter. Vor diesem Hintergrund gehen wir nun den nächsten Schritt auf unserer Marketing-Reise, um schneller zu werden, näher an unseren Kunden zu sein und der beste Marketingpartner für unsere Markenpartner zu werden.

Die Softwarebranche arbeitet emsig an der Umsetzung der Vision. Mit „Master Plan“ von Adobe, einer Software, die Kampagnenplanung erleichtert, bekommt der Verantwortliche beispielsweise Unterstützung von künstlicher Intelligenz. Diese sucht relevante Bilder, Videos oder Texte aus, entscheidet, wie man diese am besten einsetzt, und innerhalb welcher Kanäle Botschaften ausgesendet werden beziehungsweise Dialoge stattfinden. Auf Veränderungen reagiert Master Plan automatisch. Streicht irgendjemand das Budget zusammen, empfiehlt die Software eine entsprechende Anpassung. Möglicherweise steuert sie irgendwann einen ChatBot, der mit dem Kunden nach Plan plaudert. Schließlich bedeutet, nahe am Kunden zu sein, das gesamte Spektrum des Marketings abzudecken. Wer weiß, vielleicht gehört in naher Zukunft auch die direkte Steuerung der Kommunikation der Kunden mit dem Produkt zum Portfolio.

Schreitet die Evolution weiter so voran, wie es sich viele wünschen, dann sollten wir nicht nur dafür sorgen, dass das Marketing sie mitbestimmt, sondern vor allem dafür, dass Menschen innerhalb des Marketingmix immer noch eine Rolle spielen. Achten wir außerdem darauf, dass Maschinen nicht unsere schlechten Eigenschaften übernehmen. Warum? Zeigt Ihnen die Akte X-Folge „Rm9sbG93ZXJz“.

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