Political Correctness am Beispiel von politisch unkorrekten Matrjoshkas

Zwischen Authentizität und Political Correctness

Wieso verkaufen Burger-Restaurants vegane Versionen ihrer fleischlastigen Ware? Weil sie ohne dieses Angebot Umsatzeinbußen in Kauf nehmen müssten. Und zwar immer dann, wenn die Zielgruppe „Begleiter eines Fleischessers“ zur entsprechend aufgestellten Konkurrenz drängte. Nachvollziehbar, nicht wahr? Weniger verständlich erscheint der Wunsch derer, die tierische Produkte gänzlich ablehnen, etwas zu essen, das dem Geschmack nach so tut als sei es einmal ein Tier gewesen.

Vielleicht lässt sich diese Verhaltensweise mit dem gegenwärtigen Zeitgeist erklären. Es gibt da eine gewisse Zerrissenheit zwischen Authentizität (also der Übereinstimmung von Schein und Sein) und (von weltweiten Entwicklungen beeinflusster) Political Correctness. Dieser Zwiespalt kriecht durch sämtliche Etagen moderner Unternehmen und manifestiert sich in dem alltäglichen Tun und Lassen der Konsumenten.

Zur Erinnerung eine Definition aus dem Duden:
Political Correctness = „Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird.“ Den Duden sollte dringend jemand ergänzen, denn die Bandbreite der Gründe für Diskriminierung wächst täglich. Religion, Essgewohnheiten, Sprachkenntnisse und Haarlänge bilden nur den Anfang einer endlosen Liste.

Der Konsument verfügt mit den Sozialen Medien über eine noch nie da gewesene Kommunikationsplattform. Zuwiderhandlungen gegen allgemein anerkannte Regeln kann er in Sekundenschnelle in die Welt hinausposaunen. Das Merkwürdige: Obwohl der Konsument politisch unkorrekte Handlungsweisen anprangert, verhält er sich selbst nicht selten verletzend. Persönliche Natur schlägt gesellschaftliche Normen. An sich gar nichts Neues. Schon Shakespeare wusste zu berichten: „Das Gehirn mag Gesetze für das Blut aussinnen, aber eine hitzige Natur springt über eine kalte Vorschrift hinaus.“*

Als Folge dessen fürchten sich Unternehmen zunehmend als politisch unkorrekt beschimpft zu werden. Jedes Mal, wenn sie etwas verkaufen und mit dem Markt kommunizieren, tänzeln sie schließlich auf einem fragilen Gebilde aus Befindlichkeiten. Der gesamte Marketing-Mix birgt Konfliktpotenzial.

Produkt

Ein Pappbecher, in dem eine globale Kaffeehauskette Heißgetränke serviert, sorgt derzeit für mächtig viel Wirbel. Die diskriminierte Zielgruppe der Weihnachtssymbolanhänger regt sich darüber auf, dass Weihnachten – oder das, wofür diese Menschen es halten – bei ihrem sündhaft teuren Trinkerlebnis schlicht verbannt wurde. Weg. Einfach so. Ellen DeGeneres erläutert Ihnen recht plakativ das Ausmaß dieser Unverfrorenheit.

Preis

Frauen zahlen beim Friseur mehr als Männer und Versicherungen sind für uns auch teurer, weil wir aus einer Laune der Natur heraus im Schnitt länger auf dieser Welt weilen. Steht ein Mensch mitten im Leben, darf er weder eine Kinderportion noch einen Seniorenteller bestellen – egal, ob er sich gerade steinalt fühlt oder noch mit Lego-Steinen spielt. Wer früh zur Arbeit muss, wirft für eine Fahrt mit der U-Bahn mehr Münzen in den Ticketautomat ein als ein Spätaufsteher. Der Preis bietet einen äußerst fruchtbaren Nährboden für Benachteiligung und doch lassen Unternehmen bei diesem Aspekt keine Furcht vor Reaktionen ihrer Kunden erkennen. Beschwerden ignorieren sie eiskalt.

Vertrieb

In Posemuckel gibt es weder einen Bäcker noch einen Nespresso-Tempel. Aber der Konsument schweigt. Als hätte er längst resigniert.

Kommunikation

Jedes „Sale“ – Schild im Schaufenster beleidigt stumm zahlreiche Bevölkerungsschichten. Zum Glück machen sich wenigstens die Gutmenschen aus dem Silicon Valley ernsthafte Gedanken. Emotional geladene Strichmännchen, mit denen der Konsument immer häufiger komplexe Worte ersetzt, kennen keine Diskriminierung (mehr). Unternehmen, die sich dennoch auf das Glatteis aus Buchstaben begeben möchten, helfen ausführliche Recherche und anschauliche Beispiele aus der Unterhaltungsindustrie. Nötig ist dieser Einsatz  nicht unbedingt. Da unsere Aufmerksamkeitsspanne jährlich sinkt, verlassen Sie sich am besten auf Visuelles. Ein strittiger Fall aus dem Bereich Werbung sei als Warnung erwähnt: Benetton. Die haben im Laufe der Jahre jede erdenkliche Zielgruppe vor den Kopf gestoßen. Wägen Sie also genau ab.

 

Man muss das Tauziehen zwischen Authentizität und Political Correctness natürlich nicht mitmachen. Manch einer trotzt dieser Entwicklung. Zum Beispiel der Barbier von Frankfurt. Der ist ganz und gar politisch unkorrekt. Aber ist er wirklich authentisch? Wenn Sie ein Mann sind, der eine klassische Frisur und auf gar keinen Fall lange Haare hat, sagen Sie uns ausgeschlossenen Gruppen bitte Bescheid.

 

*„Der Kaufmann von Venedig“, William Shakespeare

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